Emotionale Intelligenz: Mehr als nur ein Modewort?

Emotionale Intelligenz (EI) hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erregt, sowohl in der Populärwissenschaft als auch in der akademischen Welt. Sie wird oft als Schlüssel zur Verbesserung der persönlichen und beruflichen Leistung, zur Förderung von Beziehungen und zum Erreichen von Zufriedenheit und Erfolg angepriesen. Aber wie solide ist die Forschung zu emotionaler Intelligenz wirklich? Und wie können wir sie tatsächlich entwickeln und einsetzen, um unsere Emotionen und die der anderen besser zu verstehen und zu kontrollieren?

Der Begriff „emotionale Intelligenz“ wurde erstmals in den 1990er Jahren von den Psychologen Peter Salovey und John D. Mayer eingeführt und später durch den Journalisten und Autor Daniel Goleman popularisiert. Sie definierten emotionale Intelligenz als „die Fähigkeit, unsere eigenen Gefühle und die der anderen zu erkennen, zu verstehen, zu nutzen und zu regulieren“ (Salovey & Mayer, 1990).

Seitdem hat emotionale Intelligenz breite Anerkennung gefunden, aber auch Kritik. Während Befürworter argumentieren, dass EI eine wichtige Komponente der menschlichen Intelligenz und ein entscheidender Faktor für den Erfolg im Leben ist, heben Kritiker an, dass das Konzept zu vage ist, dass die Messmethoden nicht einheitlich sind und dass der tatsächliche Nutzen von EI überschätzt wird (Matthews, Zeidner & Roberts, 2002).

Tatsächlich ist die Forschung zu emotionaler Intelligenz noch nicht eindeutig. Einige Studien haben gezeigt, dass Menschen mit hoher emotionaler Intelligenz besser mit Stress umgehen, mehr Mitgefühl zeigen, effektiver kommunizieren und erfolgreichere Beziehungen haben (Brackett, Rivers, & Salovey, 2011). Andere Studien hingegen konnten keinen starken Zusammenhang zwischen EI und diesen Ergebnissen feststellen.

Ungeachtet der Kontroverse gibt es jedoch breite Übereinstimmung darüber, dass emotionale Fähigkeiten erlernbar und förderbar sind. „Die gute Nachricht ist, dass emotionale Intelligenz im Laufe des Lebens entwickelt werden kann“, sagt Prof. Marc Brackett, Direktor des Yale Center for Emotional Intelligence. „Das Wichtigste ist, den Raum, die Zeit und die Erlaubnis zu haben, über Gefühle nachzudenken und sie auszudrücken“ (Brackett, 2019).

Die Entwicklung emotionaler Intelligenz erfordert Selbstreflexion, Achtsamkeit und Praxis. Sie erfordert auch die Fähigkeit, mit schwierigen Emotionen umzugehen und diese als Information zu nutzen, statt sie zu vermeiden oder zu unterdrücken. Dabei können auch Techniken aus der Kognitiven Verhaltenstherapie oder dem Achtsamkeitsbasierten Stressabbau hilfreich sein (Siegel, 2010).

Letztlich bleibt emotionale Intelligenz ein vielversprechendes, aber komplexes und umstrittenes Feld. Mehr Forschung ist erforderlich, um das Konzept zu klären, zuverlässige Messinstrumente zu entwickeln und wirksame Trainingsmethoden zu identifizieren. Während wir auf diese Antworten warten, kann es jedoch nicht schaden, unsere emotionalen Fähigkeiten zu pflegen und zu üben, immer mit einem kritischen Blick auf die Grenzen und das Potenzial dieses Konzeptes.

Brackett, M. A., Rivers, S. E., & Salovey, P. (2011). Emotional intelligence: Implications for personal, social, academic, and workplace success. Social and Personality Psychology Compass, 5(1), 88-103.

Brackett, M. A. (2019). Permission to feel: Unlocking the power of emotions to help our kids, ourselves, and our society thrive. Celadon Books.

Matthews, G., Zeidner, M., & Roberts, R. D. (2002). Emotional intelligence: Science and myth. MIT press.

Salovey, P., & Mayer, J. D. (1990). Emotional intelligence. Imagination, cognition and personality, 9(3), 185-211.

Siegel, D. J. (2010). The mindful therapist: A clinician’s guide to mindsight and neural integration. WW Norton & Company.